Sonntag, 7. Juni 2020

Moderne Abenteuer des Schienenstrangs in Südwestfrankreich

Autofrei von Bordeaux nach Vélines (Flaujagues), Bergerac und  Sarlat

TER Aquitaine nouvelle livrée
Moderner Fuhrpark bei der Regionalbahn TER Aquitaine.
Foto: BAB/CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Eine Bahnfahrt, die ist lustig, eine Bahnfahrt, die ist schön,… was für Südwestfrankreich stimmt. Hier wurden alte Bahnlinien nicht Sparorgien geopfert, sondern erhalten, modernisiert und attraktiv gemacht. Eine Regionalbahn – in Frankreich unter dem Logo TER (Transport express régional) – rollt seit rund 150 Jahren zwischen Bordeaux im Westen und Sarlat-la-Canéda im Osten. Diese Linie kann sich im besten Sinne sehen lassen. Sie verläuft im Tal der Dordogne, wechselt häufig über beeindruckende Brücken die Ufer und für die Passagiere die Perspektive. Sie verbindet markante Tourismusziele umweltfreundlich, ist vielen Franzosen Vorortbahn ins Wirtschafts- und Kulturzentrum Bordeaux und die Rettung vor zeitraubenden und ständig länger werdenden Staus in den Rushhours.

Bereits 1855 fiel die Entscheidung in Bordeaux, eine Bahnlinie nach Osten ins Landesinnere zu bauen. Der Vorgänger des Bahnhofs Saint-Jean ging in jenem Jahr ans Schienennetz und bediente zunächst eine Linie in den Süden. Die Erweiterungen des Bahnnetzes ließen ihn bald zum Hauptbahnhof der Stadt aufsteigen. Sein erster großer Umbau machte ihn zu einer architektonischen Augenweide. Dazu beigetragen hat eine kühne, metallgeschwängerte Dachkonstruktion von Gustave Eiffel, dem Erbauer eines berühmten und nach ihm benannten Turms in Paris 😀. Auf der neu beschlossenen Strecke gen Osten rollten ab 1869 die ersten Züge auf immer längeren Abschnitten. Bald war Bergerac erreicht, bis sie 1882 auf annähernd 170 Kilometer angewachsen war und in der Mittelalterperle Sarlat-la-Canéda endete. Damit hatte das Dordognetal einen Expressanschluss an den wichtigen Überseehafen von Bordeaux erhalten.

So ist es heute noch. Nur dazwischen ist viel passiert. Den damaligen Dampfrössern und ihrem emsigen Handelsverkehr fiel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Flussschifffahrt auf der Dordogne zum Opfer. Die ersten, die nicht mehr gebraucht wurden, waren die Treidler. Sie hatten bis dahin an langen Seilen die schweren Holzkähne mühsam flussaufwärts gezogen. Ihre in die

Die große Eisenbahnbrücke von Mauzac.
Foto: kuhrhaus

Uferböschungen getretenen Treidelpfade – chemins de halage – gibt es über weite Uferabschnitte noch heute und dienen gern als Wanderwege auf Tuchfühlung mit der Dordogne. Etwas später stemmten sich dampfgetriebene Schiffe gegen die Strömung und die Konkurrenz auf Schienen – und verloren. Sie erlebten das 20. Jahrhundert nicht mehr.

Der regionale Zugverkehr hat den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft. Anfangs der 2000er Jahre hatte es allerdings den Anschein, als schlüge der Regionalbahn Bordeaux-Sarlat bald das letzte Stündlein: ausgeleierte Schienen, veraltete Signaltechnik, verlotterte Bahnhöfe… Der TER ist zwar eine Tochter des staatlichen Bahnkonzerns SNCF, die Entscheidungen fallen aber im fernen Paris. Als eine Stilllegung ins Gespräch gebracht wurde, gab es Gegenwind. Nutzer der Regionalbahn wehrten sich, die örtliche Politik machte sich stark – und Geld locker.

2019 sind in die Linie 33 des TER-Regionalverkehrs von Bordeaux nach Sarlat-la-Canéda 84 Millionen Euro geflossen, zwei Fünftel haben die Kommunen zugeschossen. In nur neun Monaten wurden Gleise gewechselt, Bahnübergänge sicherer gestaltet und der Service aufgemöbelt. Am 29. September 2019 war Neueröffnung. Von Stund an war Schluss mit 60-km/h-Schneckentempostrecken. Nach einer „Aufwärmphase“ geht‘s seit Jahresbeginn mit 120 Stundenkilometer über Land, was Fahrtzeiten verkürzt. Nur fünf Kilometer von Flaujagues liegt der Bahnhof Vélines mit Parkplatz. Von hier aus geht es in 50 Minuten und über fünf Stationen nach Bordeaux Saint-Jean oder in derselben Zeit nach Bergerac. Bis Sarlat dauert es 90 Minuten. Zeitlich gesehen eine Alternative zum Auto.

Doch dann kam Covid-19 und das Bahnmanagement drosselte den regionalen Schienenverkehr stark. Wo bisher täglich 3000 Passagiere die Linie 33 nutzten, sank diese Zahl drastisch. Es gibt einen Covid-Notfahrplan, mit dem im Juni inzwischen wieder 50 Prozent aller Züge. Es wird im Zuge der fortschreitenden Lockerungen erwartet, dass sich ab Juli mit Beginn des Sommerfahrplans (zum Fahrplan) der Zugverkehr normalisiert. Ob die momentane Reservierungspflicht für alle Züge – vom TER bis zum TGV bestehen bleibt ist noch offen.

Eine Zugfahrt nach Bordeaux, um den Bahnhof Saint-Jean zu erleben, lohnt sich auf jeden Fall. Das markante Gebäude In ihm verschmelzen – trotz mehrfacher großer Umbauten – Historie und Hightech. Seit 1990 gibt es eine Verbindung mit dem superschnellen TGV (Train à grande vitesse – Hochgeschwindigkeitszug) in die französische Metropole. Damals dauerte die Fahrt noch drei Stunden. Mit der Inbetriebnahme der noch schnelleren Strecken unter der Bezeichnung LGV (Ligne à grande vitesse) im Juli 2017 hat sich eine Fahrt auf zwei Stunden und vier Minuten für die 584 Kilometer von Bordeaux Saint-Jean nach Paris-Austerlitz verkürzt. Was für eine verrückte Welt: Plötzlich ist Bordeaux für Pariser als Wohnort attraktiv, was in der 300.000-Einwohner-Stadt im Südwesten Wohnraum knapper und teurer macht. Vielleicht hat dieser Trend dazu beigetragen, dass der Bahnhof gut frequentiert ist: 2018 wurden erstmals 16 Millionen Reisende gezählt.

Bordeaux - Gare Saint-Jean 1
Die Ankunftshalle des Bahnhof Bordeaux Saint-Jean mit
ihrer 17.000 Quadratmeter großen Deckenkonstruktion von
Gustave Eiffel. Foto: Christophe Finot/CC BY-SA
XDSC 7809-Salle-des-billets-
Die Schaltehalle glänzt bis
heute im Stil des Art Deco.
Foto: Pline/CC BY-SA

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen