Geheimnisse entlang der Dordogne? Südwestfrankreich ist mehr als ein riesiges Weinbaugebiet an den Ufern der Dordogne. Der Fluss fließt durch ein Tal mit 1001 Burgen, durch das gastfreundliche Périgord bis ins moderne Bordeaux. Dieser reizvolle Mix ist Stoff für einzigartige Urlaubsreisen, für Ferien im Kuhrhaus in Flaujagues. Wir lüften Geheimtipps zu dieser Region in Frankreich und Wege zu ihrer Entdeckung im Auto, per pedes, Kanu oder Velo.
Von
Flaujagues bis 24100 Bergerac: 45
Kilometer, 50 min
Bergerac an der Dordogne ist ein liebenswertes Städtchen – mit Phantom. Das
Phantom heißt Cyrano de Bergerac, ein Gelegenheitshaudegen und scharfzüngiger
Autor mit Fantasienamen aus Paris des 17. Jahrhunderts. Er war nie in Bergerac
noch je in seiner Nähe. Nicht einmal sein Name stimmt. Trotzdem taugt Hector
Savinien de Cyrano (1619 – 1655), so hieß er in frühen Jahren, glänzend als
Maskottchen für den 27.000-Einwohner-Ort. Dort ist er zwischen Fachwerkhäusern,
schmalen Gassen und lauschigen Gaststätten allgegenwärtig. Doch etwas Weibliches fehlt. Eine Prominente mit großer Stimme käme in Frage.
Ein Theaterstück löst Hype aus
Begonnen hat der Hype mit dem Theaterautor Edmond Rostand, der 1897 den
Cyrano-Stoff ausgrub und als heroisch überhöhte Volkskomödie in Versform auf
die Bühne brachte. Die Geschichte fand viel Gefallen im eigenen Land und über
die Grenzen Frankreichs hinaus: Das knollennasige Großmaul findet nicht den Mut,
der Angebeteten seine Liebe zu gestehen. Stattdessen verfasst er einem nicht zu
hellen Freund die geistreichen Briefe, mit denen der dieselbe Frau mit Erfolg
umschwärmt. Diese Story ist bis heute Frankreichs meistgespieltes Theaterstück.
1990 schlüpfte Gérard Depardieu in die Filmrolle des Cyrano … und es gibt noch
Musical, Oper, Ballett und wer weiß noch was.
Rostand hatte die richtige Nase für einen Welthit. Der echte Cyrano haperte
mit seinem Zinken sein Leben lang. „Den Traum, geliebt zu sein, verbot mir
diese Nase“, sagt der Held im Originaltext. So viel Selbstmitleid steht im
krassen Gegensatz zu Cyranos forschem Auftritt, wenn er im Stück erstmals auf
die Bühne poltert: „Jetzt reicht’s mir aber!“ brüllt er da, erklimmt einen
Stuhl, verschränkt herausfordernd die Arme, stülpt die Hutkrempe provokant auf
und zeigt mit seinem struppigen Schnurrbart, dass er auf Krawall gebürstet ist.
Sind zwei Statuen zu Cyrano eine zu viel?
Diese Pose, die dem unangepassten Leben des wahren Cyrano am nächsten
kommt, nimmt keine der beiden Statuen des Cyrano im Zentrum von Bergerac ein.
Die erste, die steinerne steht seit den 1970er Jahren auf dem lauschigen Place
de la Mirpe und stellt das Stadtmaskottchen in Mantel- und Degenmanier
als einen übergewichtigen d’Artagnon dar. Man könnte leise Ironie vermuten. Doch die
zweite auf dem nahen Place de Pélissière ist jüngeren Datums: Sie ist in
kolorierter Bronze gearbeitet, kitschig und überromantisch, dass ein
Augenzwinkern ausscheidet. Gemeinsam haben sie nur die große Nase, himmelwärts
gereckt.
Die Stadt ist weiblicher als zu erkennen ist
Bergerac hat ein weibliches Pendant als zweite Statue verdient. Die Stadt trägt
seit 2013 den begehrten Titel „ville
d'art et d'histoire“, Stadt der Kunst und der Geschichte. Diese Ehrung haben bisher 123 Orte im Land erhalten. Bergerac ist eine ausgezeichnete Wahl. Hier bahnten sich echte Künstlerkarrieren an. Die bekannteste
Vertreterin ist die Chansonsängerin und Schauspielerin Juliette Gréco. Die 2020 im Alter von 93 Jahren verstorbene Künstlerin verschlug es Ende der 1930er Jahre als Schulkind nach
Bergerac. Verlassen von der Mutter, die sich dem französischen Widerstand
(Résistance) gegen die Nazibesetzung anschloss, musste sich das Mädchen mit seiner
Schwester allein durchschlagen. Juliettes Französisch-Lehrerin nahm sich ihrer an.
Ein Glücksfall, denn die in Bergerac geborene Hélène Duc, infizierte sie mit
ihrem Traum von einer Bühnenkarriere. Noch vor Kriegsende stieß Duc, die später
als landesweit gefeierte Schauspielerin zum Offizier der Ehrenlegion geschlagen
wurde, der Gréco in Paris die Tore zur Theaterwelt auf.
Juliette Gréco hat Dordogne-Luft geschnuppert
Juliette Gréco am 29. März 1966 im Flughafen von
Amsterdam. Foto: Ron Kroon/Anefo/CC0
Eine spontane Gesangseinlage der Gréco auf einem Tisch der 1946
eröffneten Künstlerkneipe „Le Tabou“ legte den Grundstein für eine
Turbo-Karriere. Bekannte Dichter und Komponisten rissen sich um das noch
unbekannte 20-jährige Talent. Unter den Tabou-Stammgästen war der
Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre, der Juliette zu seiner Muse erkor
und der viel für sie textete. Das junge Ding zog dort auch Orson Wells, Marlene
Dietrich, Albert Camus in seinen Bann... 1947 schaffte es die als rebellisch
und links geltende Gréco erstmals auf eine Titelseite – ohne je auf einer größeren
Bühne gestanden zu haben. Das folgte erst 1949. Ab 1950 ging sie auf Chanson-Tourneen.
1949 gab es noch eine bemerkenswerte Begegnung: Die Gréco begegnete in
Paris dem aufstrebenden Jazz-Trompeter Miles Davis aus den USA. Sie erlebte,
was Cyrano verwehrt blieb. Zwischen der weißen Juliette und dem schwarzen Miles
funkte es gewaltig, dass sich für die damals schon Jazz-verrückten Franzosen
eines der ersten Traum-Paare gefunden zu haben schien. Bei der USA-Tournee der
Gréco 1952 mit der Revue „April in Paris“ schlug das Hochgefühl in Herbststimmung
um. In New York erlebte sie Rassenhass unmittelbar. Ein gemeinsames Leben
von Sängerin und Trompeter wurde unmöglich – ihre Freundschaft hielt ewig.
Ob die Gréco zu den Ideengebern für ein jährliches Jazz-Festival in
Bergerac gehört, ist eher unwahrscheinlich. Die 17. Auflage des „Jazz pourpre
en Périgord“ (Purpur-Jazz im Périgord) vom 30. April bis 30. Mai wurde wegen
Covid-19 auf 2021 verschoben. Das Jahresmotto „Jazz en Chais“ (Jazz in
Weinkellern) bleibt.
Phantom und Chansonette: Zwei für die Freiheit
Cyrano und Gréco? Beide verbindet mehr, als sie trennt. Die Gréco singt als
Linke das Lied der Freiheit. In einem ihrer Chanson heißt es „Sing für die
Freiheit, Kind, hinter den Mauern sind Menschen, die brauchen dein Lied“. Das
ist ihr Credo. Cyrano, der gut 400 Jahre alte Querdenker, hatte nichts anderes
im Sinn. Er lebte als Freigeist und schrieb Gesellschaftssatiren im Gewand
einer frühen Science-Fiction. Seine Lebensphilosophie packte er in den
literarischen Appell „Songez à librement vivre! – Seid bedacht, frei zu leben!“
Alles kein Kitsch und reif für zwei Denkmale – Cyrano und Juliette.(Text und 4 Fotos: kuhrhaus)
Sommermärchen: Spektakuläre
Events rund um Flaujagues
Covid zieht sich in Südwestfrankreich allmählich zurück, die strengen Einschränkungen im
öffentlichen Leben sind passé. Allerdings braucht jeder für die Teilnahme an Großveranstaltungen sowie Bar- und Restaurantbesuche seit 28. Juli einen Gesundheitspass, was exakt dem Nachweis über die zweifache Anti-Covid-Impfung entspricht. Vereine in der südwestfranzösischen Gironde bestärkt das in ihrem Tun: Sie bereiten sich auf zwei Großereignisse ab Mitte Juli vor.
Es handelt sich um ein Freiluft-Schauspiel über einen militärischen Befreiungsschlag
im Spätmittelalter und ein entscheidendes Zeitfahren bei der Tour de France 2021. Die Organisatoren des skurrilen, weil teils karnevalesken Marathon durch das Weinanbaugebiet des
Médoc haben ihre Veranstaltung erneut verschoben: auf den 10. September 2022.
Entscheidungsschlacht im Hundertjährigen Krieg - ein Remake
In Castillon-la-Bataille – einen Katzensprung von Flaujagues
entfernt – rüsten sich 500 Freiwillige eines Traditionsvereins, darunter 40
Ritter zu Pferde, auf den erneuten „Waffengang“ aus Anlass der Wiederkehr der
Entscheidungsschlacht im 100-jährigen Krieg vor. Das Remake der „Schlacht von
Castillon 1453“ war vor einem Jahr abgesagt und verschoben worden.
Der Verein hat jüngst 15 Termine für das Spektakel zwischen
von 16. Juli bis 21. August veröffentlicht. In den Abendstunden wird in 90
Minuten auf historischem Grund mit Schwertgerassel, Hufgeklapper und
Pulverdampf erneut der große Sieg der Franzosen über die englischen Besatzer erstritten.
Mehr dazu in diesem Blog.
Bevor die Schwerter gekreuzt werden, kreuzen die Vereinsmitglieder
zunächst die Finger, dass ihnen Covid-19 nicht einen zweiten Strich durch die
Rechnung macht, erklärte Vereinschef Philippe Cousinet kürzlich. Das von
Sponsoren und den Einnahmen der Zuschauer finanzierte Fest braucht frische Einnahmen,
um die anspruchsvollen Kostüme und Rüstungen sowie die moderne Ton-, Licht- und
Pyrotechnik zu finanzieren.
Noch ein Jahr ohne Aufführungen könnten das Aus für Verein
und Spektakel bedeuten, befürchtete Cousinet. In seiner bisher besten Saison zog
das Ereignis 31.200 Schlachtenbummler an. Das war 2019. nun muss die geschätzte Hälfte reichen: Aus sanitären Gründen hat der Verein die zu den einzelnen Aufführungen zugelassene Besucherzahl auf 1000 halbiert. Obligatorisch zur Eintrittskarte ist entweder ein vollständiger Impfnachweis oder ein negativer PCR-Test, der nicht älter als 48 Stunden sein darf.
Buchungsmöglichkeiten bestehen auf der Homepage des
Vereins, die den Service auch in Englisch anbietet. Einen Vorgeschmack gibt es hier:
Tour der Pedalritter kommt nach Libourne
Eine andere Art von Rittern – die Pedalritter der 108. Tour
de France – kommt just am 16. Juli in der Kreisstadt Libourne an. 30 Kilometer
von Flaujagues endet eine Etappe des berühmten Straßenrennens. Und ebenda
startet am Folgetag ein gut 30 Kilometer langes Zeitfahren durch die Weinberge mit
Zielankunft in der heimlichen Weinhauptstadt Saint Émilion. Es ist die
vorletzte Tour-Etappe, bevor die Pedalritter auf dem Champs-Élysées in Paris den
Gesamtsieger feiern. Kenner der Tour erwarten, dass ähnlich wie 2020 im Kampf
gegen die Uhr die Entscheidung über den Tour-Triumph fällt. Mehr gibt es in diesem Blog-Beitrag.
Die Städte Libourne und Saint Émilion haben ihre Vorbereitungen weit vorangetrieben. Verkehrskonzepte über die beiden Tour-Tage mit vielen Straßensperrungen machen es den Fans des Radsports nicht leicht, einen Platz an der Piste zu ergattern.
Auch 2021 kein Karneval-Marathon im Weingebiet
Keine leichte Entscheidung. Lange haben die Organisatoren des international stark nachgefragten Médoc-Marathons gezögert, doch nun haben sie erneut entschieden, das weinselige Sportevent ein zweites Mal aufgrund von Covid-19 zu verschieben. Der nunmehr dritte Run auf die stets auf 8000 Startplätze limitierten Lauf findet aller Wahrscheinlichkeit nun im Februar/März 2022 nach dem gefürchteten Windhund-Prinzip - wer zuerst kommt, mahlt zuerst - statt.
Der Starttermin wurde verlegt, das Motto bleibt: Der Médoc-Marathon macht auf großes Kino, lautet es. Und filmreif ist die Situation allemal. (Homepage). Auch hier ist großes Theater zu
erwarten – so oder so. (Text: kuhrhaus)