Von
Flaujagues bis 24100 Bergerac: 45
Kilometer, 50 min
Ein Theaterstück löst Hype aus
Begonnen hat der Hype mit dem Theaterautor Edmond Rostand, der 1897 den
Cyrano-Stoff ausgrub und als heroisch überhöhte Volkskomödie in Versform auf
die Bühne brachte. Die Geschichte fand viel Gefallen im eigenen Land und über
die Grenzen Frankreichs hinaus: Das knollennasige Großmaul findet nicht den Mut,
der Angebeteten seine Liebe zu gestehen. Stattdessen verfasst er einem nicht zu
hellen Freund die geistreichen Briefe, mit denen der dieselbe Frau mit Erfolg
umschwärmt. Diese Story ist bis heute Frankreichs meistgespieltes Theaterstück.
1990 schlüpfte Gérard Depardieu in die Filmrolle des Cyrano … und es gibt noch
Musical, Oper, Ballett und wer weiß noch was.
Rostand hatte die richtige Nase für einen Welthit. Der echte Cyrano haperte
mit seinem Zinken sein Leben lang. „Den Traum, geliebt zu sein, verbot mir
diese Nase“, sagt der Held im Originaltext. So viel Selbstmitleid steht im
krassen Gegensatz zu Cyranos forschem Auftritt, wenn er im Stück erstmals auf
die Bühne poltert: „Jetzt reicht’s mir aber!“ brüllt er da, erklimmt einen
Stuhl, verschränkt herausfordernd die Arme, stülpt die Hutkrempe provokant auf
und zeigt mit seinem struppigen Schnurrbart, dass er auf Krawall gebürstet ist.
Sind zwei Statuen zu Cyrano eine zu viel?
Diese Pose, die dem unangepassten Leben des wahren Cyrano am nächsten
kommt, nimmt keine der beiden Statuen des Cyrano im Zentrum von Bergerac ein.
Die erste, die steinerne steht seit den 1970er Jahren auf dem lauschigen Place
de la Mirpe und stellt das Stadtmaskottchen in Mantel- und Degenmanier
als einen übergewichtigen d’Artagnon dar. Man könnte leise Ironie vermuten. Doch die
zweite auf dem nahen Place de Pélissière ist jüngeren Datums: Sie ist in
kolorierter Bronze gearbeitet, kitschig und überromantisch, dass ein
Augenzwinkern ausscheidet. Gemeinsam haben sie nur die große Nase, himmelwärts
gereckt.
Die Stadt ist weiblicher als zu erkennen ist
Bergerac hat ein weibliches Pendant als zweite Statue verdient. Die Stadt trägt
seit 2013 den begehrten Titel „ville
d'art et d'histoire“, Stadt der Kunst und der Geschichte. Diese Ehrung haben bisher 123 Orte im Land erhalten. Bergerac ist eine ausgezeichnete Wahl. Hier bahnten sich echte Künstlerkarrieren an. Die bekannteste
Vertreterin ist die Chansonsängerin und Schauspielerin Juliette Gréco. Die 2020 im Alter von 93 Jahren verstorbene Künstlerin verschlug es Ende der 1930er Jahre als Schulkind nach
Bergerac. Verlassen von der Mutter, die sich dem französischen Widerstand
(Résistance) gegen die Nazibesetzung anschloss, musste sich das Mädchen mit seiner
Schwester allein durchschlagen. Juliettes Französisch-Lehrerin nahm sich ihrer an.
Ein Glücksfall, denn die in Bergerac geborene Hélène Duc, infizierte sie mit
ihrem Traum von einer Bühnenkarriere. Noch vor Kriegsende stieß Duc, die später
als landesweit gefeierte Schauspielerin zum Offizier der Ehrenlegion geschlagen
wurde, der Gréco in Paris die Tore zur Theaterwelt auf.
Juliette Gréco hat Dordogne-Luft geschnuppert
Juliette Gréco am 29. März 1966 im Flughafen von Amsterdam. Foto: Ron Kroon/Anefo/CC0 |
1949 gab es noch eine bemerkenswerte Begegnung: Die Gréco begegnete in
Paris dem aufstrebenden Jazz-Trompeter Miles Davis aus den USA. Sie erlebte,
was Cyrano verwehrt blieb. Zwischen der weißen Juliette und dem schwarzen Miles
funkte es gewaltig, dass sich für die damals schon Jazz-verrückten Franzosen
eines der ersten Traum-Paare gefunden zu haben schien. Bei der USA-Tournee der
Gréco 1952 mit der Revue „April in Paris“ schlug das Hochgefühl in Herbststimmung
um. In New York erlebte sie Rassenhass unmittelbar. Ein gemeinsames Leben
von Sängerin und Trompeter wurde unmöglich – ihre Freundschaft hielt ewig.
Ob die Gréco zu den Ideengebern für ein jährliches Jazz-Festival in
Bergerac gehört, ist eher unwahrscheinlich. Die 17. Auflage des „Jazz pourpre
en Périgord“ (Purpur-Jazz im Périgord) vom 30. April bis 30. Mai wurde wegen
Covid-19 auf 2021 verschoben. Das Jahresmotto „Jazz en Chais“ (Jazz in
Weinkellern) bleibt.
Phantom und Chansonette: Zwei für die Freiheit
Cyrano und Gréco? Beide verbindet mehr, als sie trennt. Die Gréco singt als
Linke das Lied der Freiheit. In einem ihrer Chanson heißt es „Sing für die
Freiheit, Kind, hinter den Mauern sind Menschen, die brauchen dein Lied“. Das
ist ihr Credo. Cyrano, der gut 400 Jahre alte Querdenker, hatte nichts anderes
im Sinn. Er lebte als Freigeist und schrieb Gesellschaftssatiren im Gewand
einer frühen Science-Fiction. Seine Lebensphilosophie packte er in den
literarischen Appell „Songez à librement vivre! – Seid bedacht, frei zu leben!“
Alles kein Kitsch und reif für zwei Denkmale – Cyrano und Juliette.(Text und 4 Fotos: kuhrhaus)