Samstag, 25. April 2020

Bergerac – Juwel an der Dordogne und Stadt mit Phantom

Von Flaujagues bis 24100 Bergerac: 45 Kilometer, 50 min


Bergerac an der Dordogne ist ein liebenswertes Städtchen – mit Phantom. Das Phantom heißt Cyrano de Bergerac, ein Gelegenheitshaudegen und scharfzüngiger Autor mit Fantasienamen aus Paris des 17. Jahrhunderts. Er war nie in Bergerac noch je in seiner Nähe. Nicht einmal sein Name stimmt. Trotzdem taugt Hector Savinien de Cyrano (1619 – 1655), so hieß er in frühen Jahren, glänzend als Maskottchen für den 27.000-Einwohner-Ort. Dort ist er zwischen Fachwerkhäusern, schmalen Gassen und lauschigen Gaststätten allgegenwärtig. Doch etwas Weibliches fehlt. Eine Prominente mit großer Stimme käme in Frage.

Ein Theaterstück löst Hype aus

Begonnen hat der Hype mit dem Theaterautor Edmond Rostand, der 1897 den Cyrano-Stoff ausgrub und als heroisch überhöhte Volkskomödie in Versform auf die Bühne brachte. Die Geschichte fand viel Gefallen im eigenen Land und über die Grenzen Frankreichs hinaus: Das knollennasige Großmaul findet nicht den Mut, der Angebeteten seine Liebe zu gestehen. Stattdessen verfasst er einem nicht zu hellen Freund die geistreichen Briefe, mit denen der dieselbe Frau mit Erfolg umschwärmt. Diese Story ist bis heute Frankreichs meistgespieltes Theaterstück. 1990 schlüpfte Gérard Depardieu in die Filmrolle des Cyrano … und es gibt noch Musical, Oper, Ballett und wer weiß noch was.
Rostand hatte die richtige Nase für einen Welthit. Der echte Cyrano haperte mit seinem Zinken sein Leben lang. „Den Traum, geliebt zu sein, verbot mir diese Nase“, sagt der Held im Originaltext. So viel Selbstmitleid steht im krassen Gegensatz zu Cyranos forschem Auftritt, wenn er im Stück erstmals auf die Bühne poltert: „Jetzt reicht’s mir aber!“ brüllt er da, erklimmt einen Stuhl, verschränkt herausfordernd die Arme, stülpt die Hutkrempe provokant auf und zeigt mit seinem struppigen Schnurrbart, dass er auf Krawall gebürstet ist.

Sind zwei Statuen zu Cyrano eine zu viel?

Diese Pose, die dem unangepassten Leben des wahren Cyrano am nächsten kommt, nimmt keine der beiden Statuen des Cyrano im Zentrum von Bergerac ein. Die erste, die steinerne steht seit den 1970er Jahren auf dem lauschigen Place de la Mirpe und stellt das Stadtmaskottchen in Mantel- und Degenmanier als einen übergewichtigen d’Artagnon dar. Man könnte leise Ironie vermuten. Doch die zweite auf dem nahen Place de Pélissière ist jüngeren Datums: Sie ist in kolorierter Bronze gearbeitet, kitschig und überromantisch, dass ein Augenzwinkern ausscheidet. Gemeinsam haben sie nur die große Nase, himmelwärts gereckt.

Die Stadt ist weiblicher als zu erkennen ist

Bergerac hat ein weibliches Pendant als zweite Statue verdient. Die Stadt trägt seit 2013 den begehrten Titel „ville d'art et d'histoire“, Stadt der Kunst und der Geschichte. Diese Ehrung haben bisher 123 Orte im Land erhalten. Bergerac ist eine ausgezeichnete Wahl. Hier bahnten sich echte Künstlerkarrieren an. Die bekannteste Vertreterin ist die Chansonsängerin und Schauspielerin Juliette Gréco. Die 2020 im Alter von 93 Jahren verstorbene Künstlerin verschlug es Ende der 1930er Jahre als Schulkind nach Bergerac. Verlassen von der Mutter, die sich dem französischen Widerstand (Résistance) gegen die Nazibesetzung anschloss, musste sich das Mädchen mit seiner Schwester allein durchschlagen. Juliettes Französisch-Lehrerin nahm sich ihrer an. Ein Glücksfall, denn die in Bergerac geborene Hélène Duc, infizierte sie mit ihrem Traum von einer Bühnenkarriere. Noch vor Kriegsende stieß Duc, die später als landesweit gefeierte Schauspielerin zum Offizier der Ehrenlegion geschlagen wurde, der Gréco in Paris die Tore zur Theaterwelt auf.

Juliette Gréco hat Dordogne-Luft geschnuppert

Juliette Gréco (29-03-1966)
Juliette Gréco am 29. März 1966 im Flughafen von
Amsterdam. Foto: Ron Kroon/Anefo/CC0
Eine spontane Gesangseinlage der Gréco auf einem Tisch der 1946 eröffneten Künstlerkneipe „Le Tabou“ legte den Grundstein für eine Turbo-Karriere. Bekannte Dichter und Komponisten rissen sich um das noch unbekannte 20-jährige Talent. Unter den Tabou-Stammgästen war der Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre, der Juliette zu seiner Muse erkor und der viel für sie textete. Das junge Ding zog dort auch Orson Wells, Marlene Dietrich, Albert Camus in seinen Bann... 1947 schaffte es die als rebellisch und links geltende Gréco erstmals auf eine Titelseite – ohne je auf einer größeren Bühne gestanden zu haben. Das folgte erst 1949. Ab 1950 ging sie auf Chanson-Tourneen.
1949 gab es noch eine bemerkenswerte Begegnung: Die Gréco begegnete in Paris dem aufstrebenden Jazz-Trompeter Miles Davis aus den USA. Sie erlebte, was Cyrano verwehrt blieb. Zwischen der weißen Juliette und dem schwarzen Miles funkte es gewaltig, dass sich für die damals schon Jazz-verrückten Franzosen eines der ersten Traum-Paare gefunden zu haben schien. Bei der USA-Tournee der Gréco 1952 mit der Revue „April in Paris“ schlug das Hochgefühl in Herbststimmung um. In New York erlebte sie Rassenhass unmittelbar. Ein gemeinsames Leben von Sängerin und Trompeter wurde unmöglich – ihre Freundschaft hielt ewig.
Ob die Gréco zu den Ideengebern für ein jährliches Jazz-Festival in Bergerac gehört, ist eher unwahrscheinlich. Die 17. Auflage des „Jazz pourpre en Périgord“ (Purpur-Jazz im Périgord) vom 30. April bis 30. Mai wurde wegen Covid-19 auf 2021 verschoben. Das Jahresmotto „Jazz en Chais“ (Jazz in Weinkellern) bleibt.

Phantom und Chansonette: Zwei für die Freiheit

Cyrano und Gréco? Beide verbindet mehr, als sie trennt. Die Gréco singt als Linke das Lied der Freiheit. In einem ihrer Chanson heißt es „Sing für die Freiheit, Kind, hinter den Mauern sind Menschen, die brauchen dein Lied“. Das ist ihr Credo. Cyrano, der gut 400 Jahre alte Querdenker, hatte nichts anderes im Sinn. Er lebte als Freigeist und schrieb Gesellschaftssatiren im Gewand einer frühen Science-Fiction. Seine Lebensphilosophie packte er in den literarischen Appell „Songez à librement vivre! – Seid bedacht, frei zu leben!“ Alles kein Kitsch und reif für zwei Denkmale – Cyrano und Juliette.(Text und 4 Fotos: kuhrhaus)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen