Dienstag, 15. September 2020

Saint Émilion – Nabel der Weinwelt liegt im Südwesten

Weinlese startet ohne Volksfest

Von Flaujagues nach Saint Émilion: 19 Kilometer, 25 Minuten

Hier geht's zur in den Fels
gehauenen Kirche; darüber
erhöht sich der gewaltige
Glockenturm.

Das südwestfranzösische Saint Émilion fällt als Hauptstadt etwas aus dem Rahmen. Hauptstädte sind oft Millionenstädte mit Wolkenkratzern, riesigen Stadien und Theatern. Damit kann der 1900-Einwohner-Ort Saint Émilion 30 Kilometer vor den Toren von Bordeaux nicht aufwarten. Sein Aushängeschild sind Weine der Superlative. Die Unesco krönte 1999 den Ort mit dem ersten Welterbetitel für ein Weinbaugebiet. Hier geht’s zum Stadtplan.

Die aktuelle Ernte läuft gerade an. 2020 muss sie wegen Corona ohne die überlieferte Zeremonie der Weinbruderschaft (Jurade) für die traditionelle Genehmigung und Segnung der Weinlese auskommen. Doch dem Wein geht es gut. Der heiße, trockene Sommer nährt erneut die Hoffnung auf einen Jahrgang großer Weine.

800 Weingüter drängen sich auf engstem Raum

Saint Émilion ist gut 1000 Jahre alt und gilt seit Langem als Hauptstadt der Bordeaux-Weine höchster Güte, die sich mit dem Siegel „Grand Cru Classé“ schmücken. Weinliebhaber weltweit schauen auf das uralte Anbaugebiet, auf dem sich heute 800 Weingüter („Chateau“) auf 7850 Hektar tummeln. Sie teilen sich die Appellationen „Saint Émilion“ und „Saint Émilion Grand Cru“.

Üblicherweise wird die Weinlese am dritten Samstag im September in einem volksfestartigen Akt von

Auf 7850 Hektar Land wächst das purpurote Gold: die Spitzenweine
von Saint Émilion.
der Jurade eröffnet. Diese Körperschaft hat ihre Wurzeln in einem aus der englischen Herrschaftszeit des Mittelalters herrührenden Stadtrat. Er durfte die Region selbst verwalten und er durfte Recht sprechen. In der Neuzeit erlebte die Jurade von Saint Émilion eine Renaissance als einflussreiches Organ von Wächtern über den Wein und seine Qualität. Die 54 Frauen und Männer in roten Roben, die ihre Vorbilder in der Amtstracht von Richtern jener fernen Anfangsjahre haben, geben traditionell mit dem Segensspruch „Bon vendange“ und einem „Halleluja“ den Startschuss zur Ernte. Danach ziehen sie im Fackelschein durch die Altstadt, bevor es Feuerwerk, Straßenmusik und Wein gab. Nur 2020 nicht.

Wenn das Kopfsteinpflaster erzählt...

Den Weinbau haben die Römer in diese fruchtbare Region Aquitaniens gebracht. Er machte sich schon im Mittelalter einen Namen und intensivierte sich mit der wachsenden Wein-Nachfrage vor allem aus England. Ein Überbleibsel dessen sei das holprige Kopfsteinpflaster in der Stadt, sagt man. Diese Brocken sollen aus zurückkehrenden leeren Wein-Schiffen stammen. Dort bildeten sie die Tariermasse in den Rümpfen der Kähne.

Namensgeber für den weinseligen Ort war ein wunder- und wohltätiger Mönch aus der Bretagne mit dem Namen Émilion. Ihn hatte es der Legende nach vor gut 1000 Jahren nach Ascumbas – so hieß Saint Émilion in jener Ära – verschlagen, wo er ansässig und bald als Heiliger verehrt wurde.

Das Kloster von Saint Émilion.
Seine vermeintliche Einsiedelei ist bei einem Besuch in der unterirdischen, monolithischen Kirche mitten in der Stadt zu besichtigen. Der ungewöhnliche Bau gehört zum Weltkulturerbe und wurde im 12. Jahrhundert aus dem Sandsteinfels geschlagen. Acht mächtige Säulen von elf Metern Höhe tragen das Kirchenschiff. Überirdisch erhebt sich auf der Kirche ein weithin sichtbarer Glockenturm. Da die privaten Betreiber – ein Ergebnis der Französischen Revolution – keine privaten Fotos zulassen, bietet Youtube einen Blick ins Innere und dazu mit einem Mitglied der Jurade. 

 

Eine Million Besucher pilgern pro Jahr zum Wein
Pilger auf dem Jakobsweg
durchqueren die Stadt.

Etwa eine Million Besucher zählt Saint Émilion jährlich. Die meisten kommen wegen des Weins, doch der Ort profitiert auch von seiner Lage auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Das Tourismusbüro bietet einen deutschsprachigen Auftritt. Das Panorama der Stadt aus weltlichen und kirchlichen Bauten ist beeindruckend und inspirierte die Macher des Videospiels „Vagrant Story“, die ihre Silhouette integrierten.

Weinliebhaber finden im „Maison du Vin“ (Haus des Weins) gleich um die Ecke beimTourismusbüro
das umfangreichste Angebot lokaler Chateaus. Angeboten werden zudem Verkostungen. Individueller geht es in den vielen Weinboutiquen in den Gassen zu. Die Restaurants am Ort bieten zwischen Bistroniveau und gehobener Sternegastronomie alle Gaumenfreuden. (Text und Fotos: kuhrhaus)

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